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von guschti » So 1. Mär 2020, 11:17
aus tagesanzeiger bzw. bz:
Macht das Coronavirus den Meister?
Ohne Zuschauer sind die Eishockey-Playoffs einfach nicht das Gleiche. Es gibt Szenarien, in denen die Saison bereits nach der Qualifikation entschieden ist.In gespenstischer Atmosphäre im leeren Hallenstadion krönten die ZSC Lions gestern ihre Wiederauferstehung dieses Winters mit dem Qualifikationssieg. Nur rund 50 Besucher, Journalisten und Clubangehörige, wohnten ihrem 4:1 über den EV Zug bei. Das Coronavirus und die Direktive des Bundesrats, bis zum 15. März keine Veranstaltungen mit über 1000 Zuschauern zuzulassen, hat dem Schweizer Eishockey zwei kuriose Tage beschert. Und wie es weitergeht, kann keiner sagen. Sollte die Saison sogar abgebrochen werden, hätten sich die Zürcher mit Rang 1 vielleicht den Meistertitel gesichert.
Die Clubs der National League und der Swiss League treffen sich am Montagvormittag um 10 Uhr in Ittigen zur Lagebesprechung. Eines scheint klar: Das Playoff wird nicht wie geplant am Samstag, 7. März, mit weiteren Geisterspielen beginnen. Da herrscht Konsens bei den Clubs.
Lengwiler: «Spiele ohne Publikum sind keine Variante»
Zugs Geschäftsführer Patrick Lengwiler steht stellvertretend für viele, wenn er sagt: «Spiele ohne Publikum sind für mich keine Variante. Die Zuschauer, die Fans und die Sponsoren sind es, die das erst möglich machen, was wir tun. Es geht für mich nicht, dass wir ohne sie vor leeren Rängen spielen, nur damit man nachher einen Gewinner hat. Dann ist man zwar Meister auf dem Eis, aber man hat kein Fest, nichts.»
ZSC-Geschäftsführer Peter Zahner schlägt vor, den Playoff-Start erst einmal um zehn Tage zu verschieben, auf den 17. März. «So könnten wir die verschiedenen Szenarien vorbereiten.» Der Vorschlag dürfte eine Mehrheit finden. In der Traktandenliste, die der SonntagsZeitung vorliegt, werden sechs Varianten aufgelistet, die sich teils überschneiden:
Die Beschränkung durch den Bundesrat wird per 15. März aufgehoben.
Die Beschränkung wird verlängert, Team oder Betreuer infizieren sich, Reiseeinschränkungen.
SRF Operations produziert keine TV-Bilder (z.B. infizierte Person oder firmeninterne Anweisungen SRF).
Der Bundesrat verlängert die bestehenden Massnahmen bis zum 22. März oder länger.
Playout-Final, Ligaqualifikation und Auf-/Abstieg Swiss League und MySports League können nicht «Best of 7» gespielt werden.
Absage der Meisterschaft.
Aus diesen Möglichkeiten ergibt sich eine Vielzahl von Detailfragen. Wie stark können die Serien verkürzt werden? Sollen Teams aus der Meisterschaft genommen werden, wenn jemand infiziert ist? Wird die Saison dann abgebrochen? Ab welchem Zeitpunkt ist man bereit, Geisterspiele in Kauf zu nehmen? Gibt es einen Aufsteiger und einen Meister? Die Idee, dass der Qualifikationssieger als Meister gilt, wird in der Traktandenliste zumindest aufgeführt. Es wäre ein Titel mit Sternchen.
Letztmals wurde vor 80 Jahren kein Meister im Schweizer Eishockey erkoren – die Saison 1939/40 fiel wegen des Zweiten Weltkriegs aus. Bereits im folgenden Winter wurde wieder gespielt, siegte Davos in einer Mini-Meisterschaft.
Den Playoff-Start hinauszuschieben, so wie das die Clubs beabsichtigen, ist pragmatisch. Eine Garantie, dass sich die Lage bessert, gibt es allerdings nicht. Zugs Lengwiler findet, Serien über «Best of 3», also auf zwei statt vier Siege, wären nicht mehr playoffwürdig. Die Clubs hoffen darauf, dass sich die Situation entspannt, um ihren Einnahmenausfall so klein wie möglich zu halten. Lengwiler warnt: «Bei Spielen ohne Publikum dürfte es Clubs geben, die ohne die Publikumseinnahmen in finanzielle Engpässe geraten.»
Zahner: «Vielleicht hat man etwas überreagiert»
ZSC-Geschäftsführer Zahner sagt: «Ich respektiere den Entscheid des Bundesrats. Aber ich finde die Begrenzung auf 1000 Zuschauer zu krass. Selbst Bundesrat Alain Berset sagte ja, diese Zahl sei mehr oder weniger willkürlich. Vielleicht hat man, wohl auch unter Druck, etwas überreagiert. Die wirtschaftlichen Auswirkungen auch über den Sport hinaus sind gravierend.»
In Deutschland wird derweil weiter munter Fussball oder Eishockey gespielt, vor grossen Zuschauermassen. «Die sportwirtschaftliche Lobby ist in Deutschland eben grösser als in der Schweiz», bemerkt Zahner. «Fussball ist da kein Millionen-, sondern ein Milliardenbusiness. Die Hemmschwelle, einen solchen Entscheid zu treffen, ist da noch viel höher.»
Gravierende Folgen könnte die Situation auch bezüglich TV-Rechte haben. 35 Millionen pro Jahr ist der Vertrag wert, den UPC und die Schweizer Kabelnetzbetreiber mit Swiss Ice Hockey abschlossen, und der noch bis 2022 gilt. Der Löwenanteil dieses Geldes geht an die Clubs der National League, und das Playoff ist deren Filetstück. Es darf darum auch finanziell verstanden werden, wenn Steffi Buchli, die Programmleiterin von MySports, sagt: «Für uns macht es einen Unterschied, ob die Spiele auf später verschoben werden oder ob es eine Verkürzung des Playoff gibt.»
Dass MySports bei Geisterspielen profitieren würde, weil der Playoff-Hunger nicht im Stadion gestillt werden kann, bezweifelt Buchli. Zwar verkaufte ihr Sender eine Sublizenz am Spiel Bern gegen Fribourg vom Freitag an den SCB, der es weiter an «BlickTV» veräusserte, um seinen Fans die Möglichkeit zu bieten, die Partie zu verfolgen. Doch das Produkt Playoff funktioniert auch am TV ohne Zuschauer bloss als Kuriosität.
Buchli findet: «Schon eine Runde ohne Zuschauer ist krass. Dem Entertainment fehlt so die wichtigste Essenz.» Es sei nun aber wichtig, nicht in Hektik zu verfallen und zuerst einmal zu schauen, was am Montag die Ansage sei, sagt Buchli. Und: «Die Situation ist so speziell, das gibt es einmal im Leben.»
Das ist zumindest zu hoffen.