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von Mononen17 » Mo 21. Sep 2020, 17:25
Quelle: Tagesanzeiger.ch
https://www.tagesanzeiger.ch/weshalb-das-15-spiele-engagement-sinn-ergibt-466033301502
Bern hilft Haas, Haas hilft Bern
Gaëtan Haas spielt bis Mitte November für den SCB. Das Engagement wird auch von Zweiflern begleitet. Doch es ergibt für Club und Spieler Sinn.
Am Samstag begann in Edmonton der Stanley-Cup-Final 2020. Und Edmontons Angreifer Gaëtan Haas gelang just ein Tor – gleichentags, aber nicht gleichenorts. Er bestritt in Bern ein Vorbereitungsspiel im Hinblick auf die Saison 2020/2021. Beim 4:2 gegen Rapperswil erzielte Haas den dritten Treffer für den amtierenden Meister, der im Frühling das Playoff verpasst hatte.
Alles klar so weit?
Die Pandemie hat auch das Eishockey ganz schön durcheinandergewirbelt. Wer in dieser Geschichte nach Orientierung sucht, findet Halt auf der Zeitachse.
Im April 2019 prägte Haas den Playoff-Final zwischen Bern und Zug mit vier Toren. Der Stürmer gewann mit dem SCB die Meisterschaft. Danach machte er von seiner Ausstiegsklausel Gebrauch, unterschrieb für eine Saison in
Edmonton. Haas bestritt 59 Spiele, erzielte fünf Tore für die Oilers. Derweil lief es dem SCB nicht mehr wie geschmiert, er fiel aus den Playoff-Rängen. Dann kam Corona, die Ungewissheit, der Abbruch in der Schweiz, der Unterbruch in Nordamerika. Haas unterzog sich einer Operation am Finger, verlängerte seinen Kontrakt bei den Oilers vorzeitig um eine weitere Spielzeit und bereitete sich fortan auf die entscheidende Phase in der NHL vor.
Fünf Monate Vorbereitung für 10 Minuten Playoff
Ende Juli stieg Haas mit seinen Mitspielern und den anderen Teams der Western Conference in die «Bubble» von Edmonton: getrennt von der Aussenwelt, getestet auf Covid mehrmals pro Tag, alles mit einem Aktionsradius von der Eishalle zum Hotel Marriott, wo für die dort stationierten Teams je ein Stockwerk reserviert war.
Allein: Bereits nach vier Spielen platzte in der Blase der Traum der Gastgeber vom Stanley-Cup. Die Oilers unterlagen Chicago im Pre-Playoff 1:3. Haas war dreimal überzählig, erhielt einzig im letzten Match 10 Minuten Auslauf. Sein Fazit ist rasch gezogen: «Ich habe fast fünf Monate lang für 10 Minuten Playoff gearbeitet – das war ernüchternd.» Trainer Dave Tippett und General Manager Ken Holland attestierten dem Schweizer eine zufriedenstellendes erstes NHL-Jahr. «Aber nächste Saison erwarten sie mehr von mir.»
Im abschliessenden Gespräch fragte Haas sogleich an, ob er die Pause bis zum Start der nächsten NHL-Saison mit Einsätzen für den SCB überbrücken dürfe. Und so stand er am Tag der ersten Finalpartie um den Stanley-Cup eben in Bern im Einsatz, sagte nach dem Sieg gegen Rapperswil: «Was ich in der Schweiz habe, muss ich mir in der NHL erst noch verdienen.» Die Stimme war gedämpft durch die Maske, und doch hallte jedes Wort durch die leere Postfinance-Arena.
Bern dient Haas als Duchlauferhitzer
Im hiesigen Eishockey gilt Haas als wohl spielstärkster Center mit Schweizer Pass: schnell, agil, trickreich, auch mal verspielt. In Edmonton hingegen war Haas ein Mitläufer mit dem Auftrag, als Center der vierten Linie in erster Linie das Risiko tief zu halten. «Das ist nicht mein Spiel. Aber damit ich mir den NHL-Traum erfüllen konnte, musste ich dieses Opfer erbringen.»
Im Gespräch stellte ihm Coach Tippett eine grössere Rolle in Aussicht. Haas sagt: «Entscheidend wird sein, dass ich die Eiszeit bei Edmonton besser nutze und mich für höhere Aufgaben empfehle.» Um dieses Ziel zu erreichen, nutzt der 28 Jahre alte Angreifer den SCB als Durchlauferhitzer – selbst wenn er das nicht so formuliert. «Zuerst die Form finden, danach Bern helfen, später Edmonton», so stellt er sich das vor. Dabei kommt ihm der Wechsel an der Bande zupass. Vor dem Wechsel nach Übersee wurde Haas in Bern von Kari Jalonen trainiert. Nun ist Don Nachbaur in der Verantwortung. «Das sind zwei Welten – in jeder Hinsicht», sagt Haas. «Nachbaur lässt ein ähnliches System spielen wie Tippett in Edmonton, das wird mir helfen.»
So versucht der Techniker die Freiheiten in Bern mit dem Diktat aus Übersee zu paaren. «Ich habe beim SCB mehr Einfluss aufs Spiel, versuche aber ähnlich zu agieren wie in der NHL.» Das Plus an Verantwortung und Vertrauen soll nicht zu einem Plus an Risiken und Fehlern führen.
Weshalb das Engagement auch für den SCB Sinn ergibt
Trotz Haas’ Klasse: Das Engagement des Centers stiess im SCB-Kosmos nicht überall auf Zuspruch. Weshalb einen Akteur ins Team holen, der vor der Abreise nach Übersee Mitte November maximal 15 Meisterschaftspartien
bestreiten kann und anderen Spielern den Platz wegnimmt, die bis Saisonende im Club bleiben?
Die ZSC Lions und Davos beispielsweise verzichten auf temporären Support von Schweizer NHL-Spielern. Für den SCB ergibt Haas’ Verpflichtung aber aus dreierlei Gründen Sinn: Erstens verstärkt er ein Kader, welches nicht mehr meisterlich besetzt ist. Nur wird auch Haas nicht kaschieren können, dass es der Equipe am Flügel an Skorerqualitäten mangelt. Zweitens können die Berner dank Haas mit der Verpflichtung eines vierten Ausländers zuwarten. Drittens – und das ist der massgebende Punkt – läuft Haas’ Kontrakt mit Edmonton im nächsten Frühling ebenso aus wie der Passus, im Fall einer Rückkehr für den SCB zu spielen. Natürlich würden die Berner den Schweizer Nationalspieler lieber heute als morgen an sich binden. Da empfiehlt es sich, den Spieler selbst für eine Stippvisite mit offenen Armen zu empfangen – im übertragenen Sinn und coronakonform, versteht sich.
Sollte sich Haas’ Hoffnung auf mehr Eiszeit in Edmonton nicht erfüllen, stünde ihm nächstes Jahr in der Schweiz manch lukrative Option offen – nicht nur im Kanton Bern. Was Haas dazu sagt: «Wie soll ich wissen, was im
Frühling sein wird? Ich weiss ja noch nicht einmal, wann die NHL-Saison beginnt.»
Lasst sie Stahl fressen! (Khan Noonien Singh)