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von bandeschreck » Fr 21. Dez 2018, 09:49
Aus der heutigen BZ:
Tristan Scherwey, wenn Sie auf das Jahr 2018 zurückblicken: An welchen Tag denken Sie als Erstes?
An den Samstag (19. Mai, die Red.), an dem ich mich mit der Schweiz für den WM-Final qualifiziert habe.
Und was geht Ihnen durch den Kopf?
Dieses Gefühl nach dem Sieg im Halbfinal über Kanada, ich war wie in einem Film, lebte diesen Traum, und ich wusste: Das Beste kommt noch. Dieser Moment war sehr speziell. Er lässt sich nicht beschreiben.
Ihnen gelang im WM-Halbfinal gar das 1:0.
Am Abend schaute ich aufs Handy und hatte 150 Whatsapp- Nachrichten. Ich versuchte, meine Abläufe beizubehalten: gemütlich etwas essen, später einschlafen. Das war nicht einfach. Am nächsten Morgen wachte ich auf und wusste: Zwei Teams kämpfen um den Weltmeistertitel – und du bist dabei. Unglaublich!
Den Final verlor die Schweiz gegen Schweden im Penaltyschiessen. Hadern Sie noch immer?
Es ist eine Mischung aus Stolz und Enttäuschung. Du weisst nicht, ob du nochmals eine solche Chance erhalten wirst. Dieser Gedanke begleitet dich.
Nach dem Final traf sich die Schweizer Mannschaft in einem Lokal. Weil der Zufall manchmal ein Teufel ist, hatten sich die Schweden in demselben Club eingemietet. Stimmt es, dass Sie von einigen Mitspielern zurückgehalten werden mussten?
Wir versuchten, im Ausgang auf andere Gedanken zu kommen – und dann fuhr dieser Bus mit den Schweden vor. Die «Sieche» liefen mit Gold herum, und ja, ich war nahe dran, einem Schweden die Medaille vom Hals zu reissen. Aber ich konnte mich beherrschen, wollte zum Abschluss eines solch tollen Turniers nicht noch für negative Schlagzeilen sorgen (schmunzelt).
Ein anderer spezieller Moment dürfte im Februar gewesen sein: Olympische Spiele mit der Schweiz.
Vergleiche ich die Emotionen und das Drumherum, hat mich die WM wesentlich stärker geprägt. Olympische Spiele sind speziell. Aber in Südkorea hatte es kaum Zuschauer, es war kein grosses Fest. Und sportlich haben wir versagt.
Olympiadebüt, WM-Silber, der Sprung zum Leistungsträger beim SCB: Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Ich trainiere hart, arbeite an den Schwächen und…
…wo liegen Ihre Schwächen?
Der Scherwey vor zwei Jahren, der war glücklicher ohne Scheibe. Jetzt mag ich es, einen Spielzug zu gestalten, in Puckbesitz zu sein. Es ist ein schönes Gefühl, wenn du merkst, dass es immer besser läuft. Du willst automatisch mehr, das Selbstvertrauen steigt – in dieser Spirale bewege ich mich. Aber ich habe überall Luft nach oben. Ich bin dankbar, durfte ich stets mit Trainern arbeiten, die wussten, wie sie mit mir umgehen müssen.
Welcher Trainer hat den grössten Anteil an Ihrem Leistungssprung?
Larry Huras nahm mich in die erste Mannschaft, er mochte und förderte meinen Stil. Unter Antti Törmänen begann ich, vermehrt Sorge zum Puck zu tragen. Guy Boucher gab mir Eiszeit und Vertrauen. Lars Leuenberger weiss seit meiner Zeit als Junior, wie er mich antreiben muss. Nun ist Kari Jalonen da, von dem ich ebenfalls profitiere. Einen Trainer herausheben, das geht nicht. Kanadische Philosophie, kombiniert mit spielerischen Elementen aus Finnland: Diese Mischung bei den Trainern war offenbar gut für meine Entwicklung (schmunzelt).
Wie hat es Jalonen geschafft, dass Sie sich besser unter Kontrolle haben, kaum noch Sperren riskieren?
Kontrolliert spielen, mit Köpfchen spielen: Das hat er mir auf den Weg gegeben. In Jalonens System gehst du nicht blind ins Forechecking und fährst einen über den Haufen. Sonst kriegst du vom Trainer oder von den Mitspielern auf der Bank mit Sicherheit etwas zu hören.
Aber manchmal wünschten Sie sich eine aggressivere Taktik.
Ich versuche, wann immer möglich, mit Checks und Emotionen Akzente zu setzen. Aber in der National League wurde das Bussensystem angepasst. Wenn du bei jedem Check eine Sperre und zusätzlich eine Busse von 10 000 Franken riskierst, überlegst du zweimal, ob du ihn durchziehen willst. Die Liga-Verantwortlichen haben sich für diesen Weg entschieden. Ob es der richtige ist? An Härte werden wir jedenfalls kaum zulegen. Die Quittung folgt bei internationalen Vergleichen. Und: In der Schweiz wird mittlerweile bei jedem Check ein Riesentheater gemacht. Das stört mich.
Die Zahl der Hirnerschütterungen ist unverändert hoch.
Einige Spieler wenden sich an der Bande absichtlich ab, kehren dem Gegner den Rücken zu, nur damit er sie nicht regelkonform checken kann. Zieht er durch, wird er gesperrt, weil der Gecheckte in die Bande fliegt.
Sie denken allen Ernstes, dass sich einige Spieler absichtlich so verhalten? Immerhin riskieren sie damit ihre Gesundheit.
Es gibt in der Schweiz mehr als genug solche Spieler. Sie nehmen den Check nicht an oder manövrieren sich absichtlich in eine dumme Position. Ich sehe auch viele, die in der Mittelzone den Puck übernehmen und denken, dort lasse es sich gemütlich dribbeln. Also sorry: So läufst in den Hammer. Ich habe früh gelernt: In der Mittelzone hältst du den Kopf oben. Wenn einer vom Kaliber eines Roland Gerber von Langnau auf dem Eis steht, kurve ich sicher nicht mit gesenktem Kopf umher. Andere tun das. Dieses Verhalten schadet der ganzen Liga – nicht nur wegen der fehlenden Härte im internationalen Vergleich.
Sondern auch?
Es gibt weniger Spektakel. Die Zuschauer sagen dann: «Es fehlt an Unterhaltung… es ‹chlepft› nicht mehr … weshalb gibt es kaum noch Schlägereien?» Selbst nach der harmlosesten Schlägerei werden Bussen verteilt, um gewisse Kassen zu füllen. Das geht nicht spurlos an den Spielern vorbei.
Fakt ist: Sie agieren mittlerweile wesentlich disziplinierter. Trifft dies auch auf Ihr Verhalten neben dem Eis zu? Der frühere SCB-Sportchef Sven Leuenberger verglich Sie einst mit dem Lausbuben Michel aus den Kinderbüchern von Astrid Lindgren.
Punkto Training und Einstellung war ich immer diszipliniert. Aber bei einigen Dingen werde und will ich ein Kind bleiben. Das geht nicht nur mir so. In der Mannschaft haben wir leider einige von dieser Sorte (schmunzelt). Sprüche klopfen, Scherze machen: Solche Momente machen das Teamleben so richtig speziell. Ich bin ein Hauptakteur, wenn es darum geht, Seich zu machen. Dazu stehe ich.
Ein Lausbub geblieben, ein Leader geworden: Diesen Schritt hätten Ihnen längstens nicht alle zugetraut.
Allerdings. Ich könnte genügend Beispiele erwähnen.
Eines bitte.
Als ich von Gottéron zum SCB ging, schrieb mir jemand aus dem Staff von Fribourg: «Dein Wechsel nach Bern sagt alles aus. Mit dieser Einstellung wirst du es nie zu etwas bringen.» Den Brief habe ich aufbewahrt. Heute kann ich dem Betroffenen sagen: Voilà, da hast dus! Mir wurde nie etwas geschenkt. Ich habe das als Motivation betrachtet und mir alles erarbeitet – wirklich alles. «Büeze», wenn «Büez» ansteht – geniessen, wenn Zeit zum Geniessen da ist: Diese Mentalität habe ich verinnerlicht.
Inwiefern hat Sie eigentlich SCB-Geschäftsführer Marc Lüthi geprägt?
Ich habe sehr grossen Respekt vor ihm und (lacht)…
…weshalb lachen Sie?
Weil Marc genau weiss, wie ich bin, wie ich denke. Wir sprachen zuvor über Leute, die nicht an mich geglaubt hatten. Bei Marc ist das Gegenteil der Fall.
Sie absolvierten neben dem Eishockey die Handelsschule, mussten jede Woche bei Lüthi vorsprechen.
Meine Leistungen auf dem Eis waren besser als jene in der Schule. Marc hat Einfluss genommen. Mit einem wie ihm willst du keine «Lämpe» (schmunzelt). Ich bin froh, kann ich ihm und dem SCB nun etwas zurückgeben.
Sie sind in Bern Publikumsliebling. Die Fans singen «Einer von uns». Ist das eher Ehre oder Verpflichtung?
Es macht mich stolz. Ich weiss: Die Leute erwarten von mir, dass ich auf dem Eis das gewisse Extra liefere. Aber deshalb verspüre ich keinen zusätzlichen Druck.
Neben dem Eis gibt sich keiner derart volksnah wie Sie.
Das mache ich nicht nur beim SCB so, das gehört zu meinem Charakter. Mit den Leuten scherzen, ihnen Aufmerksamkeit schenken, Respekt und Dankbarkeit entgegenbringen – das ist ein Teil von mir. So wurde ich erzogen.
Einige zweifeln, ob das Motto «Einer von uns» auch ab Sommer 2020 gelten wird. Dann läuft Ihr Vertrag aus. Mehrere Clubs bemühen sich um Sie.
Ich möchte in Bern vorzeitig verlängern und einen langfristigen Vertrag unterschreiben.
Das ist ein klares Bekenntnis.
Ich habe in den letzten zehn Jahren nicht eine Sekunde lang an einen Transfer gedacht. Der SCB ist mein Club – das wird so bleiben. Aber ich will, dass wir trotz vieler auslaufender Verträge den Kern zusammenhalten. Und alle müssen sich dafür einsetzen, dass wir trotz starker Entwicklung einiger Konkurrenten in Bern weiterhin ein Topteam stellen werden.
Vor kurzem haben ein früherer SCB-Trainer und ein früherer SCB-Captain unisono gesagt: «Der Scherwey müsste es zwingend in Nordamerika versuchen.»
Was soll ich dazu sagen?
Sie sollen sagen, ob die NHL trotz Bekenntnis zum SCB ein Thema ist.
Ja, die NHL ist ein Traum. Ich bin 27 Jahre alt. Sollte sich was ergeben, würde dies wohl die nächste oder die übernächste Saison betreffen. Es ist mein Wunsch, die Chance zu erhalten, an einem Camp teilzunehmen, mich einmal in Nordamerika präsentieren zu können. Ich besitze keine Ausstiegsklausel. Aber sollte sich die Gelegenheit ergeben, so hoffe ich sehr, dass der SCB diskussionsbereit wäre.