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SC Bern
Stärken und Schwächen
Die starke Mittelachse (Smith, Ebbett, Plüss, Reichert) wirkt auch defensiv stabilisierend. Marco Bührer verzögert mit seiner Erfahrung und mentalen Robustheit den Alterungsprozess. Mit der offensiven Ausrichtung wird beim grössten Publikum Europas jene Begeisterungswelle entfacht, die eine Mannschaft ganz nach oben tragen kann. Mit Timo Helbling ein wahrer «Krieger», der für Emotionen im Hockey-Tempel sorgen wird. Ein kanadischer Trainer, vier kanadische Ausländer, klare nordamerikanische Ausrichtung – alle sprechen mit einer Stimme, kein Hockey-Kulturkampf. Vier beinahe gleich starke Linien – so kann jeder Gegner zermürbt werden. Genug Geld, um nachzurüsten oder Verträge auszuzahlen wenn es der innere Friede erfordert. Guy Boucher sorgt dafür, dass die spielerische Flucht nach vorne nicht wild, sondern wohl organisiert und strukturiert über die Bühne geht. Was auch kommen mag – Marc Lüthi verwandelt jede Krise in einen Zirkus, der Medienpräsenz, Umsatz und den Mythos SCB mehrt.
Zu viele offensive Maschinisten und zu wenig echter Sniper – die Chancenauswertung ist ein Problem. Mit Eric Blum nur noch ein spielerisch starker Verteidiger in einer durchschnittlichen Abwehr – sein Ausfall hätte unübersehbare Folgen. Guy Boucher war, ist und bleibt stur. Zu viel System, zu wenig taktische Risikobereitschaft, zu viel «safety first», zu wenig Freiräume für kreatives Spiel. Zehn wichtige Spieler sind 30 oder älter – die Energie muss sorgfältig verwaltet werden. Kein zweiter Torhüter, der auf Augenhöhe mit Marco Bührer spielen kann. Neue ausländische Spieler haben Mühe, sich in die Mannschaft zu integrieren – und jetzt sind es gleich drei.
Ein Koloss auf tönernen Füssen
Der SC Bern hat vieles, um die Qualifikation, Cup und die Meisterschaft zu gewinnen. Das Geld, das Selbstverständnis und die Mannschaft. Aber ist Guy Boucher der richtige Trainer?
Eine Episode aus dem Buch der Bücher: Einst hatte Nebukadnezar einen Traum, der ihm den Schlaf raubte. Da ließ der König die Zeichendeuter und Wahrsager rufen, damit sie ihm sagten was er geträumt habe. Der Prophet Daniel erklärte es ihm. «Du hast einen Titanen gesehen. Sein Kopf war von gediegenem Golde, Brust und Arme von Silber, Bauch und Hüften von Erz, die Schenkel von Eisen, und die Füsse von Ton.»
Ein Traumbild, das eigentlich auch SCB-General Marc Lüthi heimsuchen könnte. Der Titan SCB ist sehr ähnlich strukturiert: Der Kopf, die Offensive ist von gediegenem Gold. Doch je weiter wir heruntersteigen, desto brüchiger wird der mächtige Hockey-Koloss. Am Ende sind wir in der Abwehr und beim Torhüter angelangt. An der Basis des Teams. Und dort sehen wir halt nicht mehr Gold, Silber, Erz oder Eisen. Wir sehen mit Marco Bührer im Spätherbst seiner Karriere tönerne Füsse.
Das mag nun etwas polemisch sein, trifft aber den Kern der Sache recht gut. Zum ersten Mal seit Einführung der Playoffs (1986) beschäftigt nämlich der SCB beim Saisonstart keinen ausländischen Verteidiger. Mannschaft ist spektakulär vorwärts programmiert.
Der SCB kann eine vierte Linie formieren, die bei den meisten Konkurrenten als erster Sturm durchgehen würde. Vier kanadische Stürmer, dazu drei offensive WM-Silberhelden (Moser, Plüss, Bodenmann) plus drei weitere Stürmer, die schon für die Schweiz an einer WM teilgenommen haben (Rüfenacht, Reichert, Scherwey) plus zwei weitere Nationalstürmer (Pascal und Alain Berger).
Die Stilrichtung ist klar: die Gegner mit unablässigem Ansturm zermürben. Die bange Frage zu diesem Spektakel ist allerdings: Gelingt es Trainer Guy Boucher, die Balance zwischen Abwehr und Angriff zu finden? Es gibt Grund zur Sorge. Der SCB hat keinen Verteidigungsminister mehr. Die zwei charismatischsten Abwehrspieler sind der Offensiv-Verteidiger Eric Blum und der «Krieger» Timo Helbling. Ein Verteidigungsminister wäre nur einer, der die Qualitäten von Helbling und Blum vereinen würde.
Und so kommt es, dass der SCB von vorne nach hinten (oder, wenn wir das Bild von Nebuzadnezar nehmen, vom Kopf bis zum Fuss) ein bisschen schwächer wird. Der nominell beste Sturm der Klubgeschichte wird von einer recht guten Verteidigung und einem durchschnittlichen Torhüter abgesichert. Der Koloss, der auf tönernen Füssen steht.
Sportchef Sven Leuenberger geht davon aus, dass Guy Boucher mit vier ausländischen Stürmern nichts anderes bleibt als das Spiel offensiver auszurichten und das Spektakel vors gegnerische Tor zu tragen. Ob der Kanadier dies tun wird oder nicht: der SCB trägt nun dessen taktische Handschrift. Scheitert Guy Boucher, ist es sein Scheitern. Triumphiert er, ist es sein Triumph. Der ganz grosse Erfolg (Meister) – und das muss mit diesem Team das Ziel sein – ist nur möglich, wenn er die Balance zwischen taktischer Diktatur und spielerischer Freiheit findet, und wenn er die Energie der Spieler richtig zu verwalten lernt. Beides war weder im Frühjahr 2014 (Sturz in die Abstiegsspiele) noch in den Playoffs von 2015 der Fall.
Und da ist noch etwas. Etwas frivol können wir die Ausgangslage so schildern: Was wäre, wenn die Frau von Marc Lüthi eines Tages sagen würde: «Du Marc, wir haben es super und es gefällt mir gut. Aber ich hätte halt schon lieber einen amerikanischen Milliardär. Gell, es macht Dir nichts aus, wenn ich mal bis Ende Mai schaue, ob ich einen finde. Wenn nicht, dann komme ich gerne wieder zu Dir.»
Genau so hat sich Guy Boucher verhalten. Die ganze Welt hat er wochenlang auf allen Kanälen wissen lassen, dass er soooo gerne wieder in der NHL arbeiten würde und mit wem er gerade flirtet. Es hat erwartungsgemäss nicht geklappt und so ist er halt beim SCB geblieben.
Dieses Vorgehen mag wegen einer NHL- Ausstiegsklausel juristisch korrekt und mit dem SCB abgesprochen sein. Aber es bleibt eines der Geheimnisse unserer Zeit, warum Marc Lüthi dieses Verhalten toleriert hat. Loyal sein und Loyalität verlangen ist beim SCB-Manager ja von zentraler Bedeutung und eines seiner Erfolgsgeheimnisse.
Wenn es nicht nach Wunsch läuft, dann wird dieses Theater auf Guy Boucher zurückfallen und die Polemik befeuern. Was eigentlich ganz gut ist: Der SCB-Trainer weiss, dass er zum Erfolg verdammt ist und alle Hinterausgänge der Ausreden versperrt sind.
Tipp für die neue Saison
Problemlose Playoff-Qualifikation unter den ersten fünf für den SCB – aber permanentes Murren wegen des schematischen Spiels und ab Oktober Gerüchte um die Verpflichtung eines ausländischen Verteidigers und Spengler Cup das Werweisen, ob es gelingen wird, für nächste Saison Arno Del Curto zu verpflichten. Im Vergleich zum Vorjahr: Nominell eher stärker, aber wegen der extremen offensiven Ausrichtung (WM-Silberheld Simon Bodenmann, vier ausländische Stürmer, WM-Silberheld Philippe Furrer zu Lugano) weniger gut ausbalanciert.