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von OldBear » So 16. Okt 2022, 19:51
Der SCB ist das Team der Stunde
Die sieben Siege in acht Spielen sind «bloss» eine Begleiterscheinung. Denn der SCB hat sich grundsätzlich in vielen Belangen gesteigert. Dies zeigen auch ganz nüchterne Fakten.
Kristian Kapp
Kristian Kapp
Publiziert heute um 19:09 Uhr
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Feiern nach dem Sieg in Davos: Der SC Bern mit Simon Moser, Colin Gerber, Christian Pinana, Thierry Bader, Beat Gerber, Joel Vermin und Christopher DiDomenico.
Feiern nach dem Sieg in Davos: Der SC Bern mit Simon Moser, Colin Gerber, Christian Pinana, Thierry Bader, Beat Gerber, Joel Vermin und Christopher DiDomenico.
Foto: Jürgen Staiger (Keystone)
Der SC Bern beschert seinen Anhängern derzeit emotionale Achterbahnfahrten, Happy End inklusive. Am Freitag gegen Leader Genf im Schlussdrittel ein 5:3 verspielt und dann doch noch mit 6:5 nach Verlängerung gewonnen, tags darauf die fast exakte Kopie in Davos: Zweieinhalb Minuten vor Schluss liegt der SCB 3:1 vorne, kassiert wieder zwei späte Gegentore und siegt dann in der Overtime mit 4:3 – auch weil HCD-Trainer Christian Wohlwend «all in» geht und in der Verlängerung ohne Goalie, dafür mit einem zusätzlichen Feldspieler agieren lässt. Welch ein Berner Wochenende!
Natürlich lässt sich bemängeln, dass der SC Bern zwar zweimal gewann, aber auch zwei weitere, schon sicher geglaubte Punkte liegen liess. Siege nach Verlängerung sind schliesslich nur zwei statt drei Punkte wert. Und doch sieht man bei der Betrachtung des Gesamtbildes die Fortschritte, die die Mannschaft von Headcoach Johan Lundskog in den letzten Spielen getätigt hat. In diversen Bereichen ist Bern gar das Team der Stunde. Dies zeigt auch ein kleiner Ausflug in die Welt der Advanced Stats.
Chris DiDomenico
Der Kanadier sammelt weiter fleissig Skorerpunkte. Beim annullierten 3:1-Treffer Colton Sceviours wäre ein weiterer Assistpunkt dazu gekommen, so blieb es bei deren zwei in Davos – plus dem kuriosen OT-Treffer.
Dino Wieser
Es ist eigentlich nur noch eine Vollzugsmeldung, doch nun ist es nach langer Verletzungspause offiziell: Der Davoser Stürmer ist zurückgetreten, mehrere Gehirnerschütterungen zwangen Wieser zum Karrierenende.
Christian Pinana
Normalerweise ist der SCB-Verteidiger überzählig, in den letzten beiden Spielen durfte er sich immerhin als 8. Verteidiger umziehen. Doch weil der SCB nur sieben Abwehrspieler einsetzt, erhielt er beide Male keine Sekunde Eiszeit.
Der SCB kreiert gemäss der «Expected-Goals»-Metrik der offiziellen Liga-Statistiker bereits über die ganze Saison gesehen am meisten Torgefahr aller 14 Teams. Nimmt man nur 5-gegen-5-Hockey, lässt also die Powerplays weg, ist Bern immer noch die Nummer 2 hinter Leader Servette. Nimmt man nur die letzten fünf Spiele aller Teams als Massstab, ist der SCB gar in beiden Kategorien mit Abstand die Nummer 1 der NL. So gesehen: Ja, Bern ist das Team der Stunde.
Wie diese Zahlen zu lesen sind: Über die ganze Saison gesehen hat der SC Bern bei allen Situationen (inklusive Powerplay) pro Spiel 3,43 «zu erwartende Tore» (Expected Goals) kreiert und ist damit die Nummer 1 der Liga.
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Die Offensive
Wie diese Zahlen zu lesen sind: Über die ganze Saison gesehen hat der SC Bern bei allen Situationen (inklusive Powerplay) pro Spiel 3,43 «zu erwartende Tore» (Expected Goals) kreiert und ist damit die Nummer 1 der Liga.
Quelle und Screenshot: 49ing
Die Zahlen zeigten auch beim Sieg in Davos nichts anderes: Der HCD dürfte wohl mehr Puckbesitz gehabt haben, deutlich mehr Torgefahr ging hingegen vom SCB aus – auch begünstigt durch die Führung nach 40 Minuten und die sich immer je länger, desto mehr öffnende Abwehr der Bündner.
Die Steigerungen in den Special Teams
Ähnliches gilt für das Powerplay. Über die ganze Saison gesehen hat der SCB das drittgefährlichste Powerplay der Liga, nur Ajoie (!) und Davos kreieren da mehr Torchancen. Schaut man wieder nur auf die letzten fünf Spiele, wird der grosse Einfluss von Rückkehrer Dominik Kahun deutlich: Der SCB ist hier die Nummer 1 der Liga, nur der ZSC und Davos kommen ihm nahe.
Wie diese Zahlen zu lesen sind: Über die ganze Saison gesehen hat der SC Bern pro 60 Minuten Powerplay 7,89 «zu erwartende Tore» (Expected Goals) kreiert und ist damit die Nummer 3 der Liga.
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Die Special Teams
Wie diese Zahlen zu lesen sind: Über die ganze Saison gesehen hat der SC Bern pro 60 Minuten Powerplay 7,89 «zu erwartende Tore» (Expected Goals) kreiert und ist damit die Nummer 3 der Liga.
Quelle und Screenshot: 49ing
Noch augenfälliger ist der Steigerungslauf in Unterzahl. Über die ganze Saison gesehen ist das Penalty Killing des SCB nach wie vor schwach und lässt am zweitmeisten Torgefahr zu, nur Ajoie ist hier noch schlechter. In den letzten fünf Partien hingegen ist Bern bereits die Nummer 6 der Liga, der Rückstand auf die Spitzenwerte (Lakers und Davos) ist kleiner als der Vorsprung auf die Liga-Tiefstwerte von Ajoie und Meister Zug (!).
Ausgehebelt: Der HC Davos (Dominik Egli) am Boden, der SC Bern (Chris DiDomenico) obenauf.
Ausgehebelt: Der HC Davos (Dominik Egli) am Boden, der SC Bern (Chris DiDomenico) obenauf.
Foto: Jürgen Staiger (Keystone)
Und, man staune: Auch grundsätzlich in der Defensive hat sich Bern bei 5-gegen-5-Hockey massiv gesteigert. Nach Anfangsproblemen hat sich der SCB bereits auf Rang 4 hochgearbeitet, nur Servette, Fribourg und Davos sind hier noch besser. Und wenn wir wieder nur die letzten fünf Spiele betrachten? Auf Platz 2 liegt hier der SCB hinter Fribourg und vor Servette.
Wie diese Zahlen zu lesen sind: Über die ganze Saison gesehen hat der SC Bern bei allen Situationen (inklusive Penalty Killing) pro Spiel 2,44 «zu erwartende Tore» (Expected Goals) zugelassen und ist damit zusammen mit den Lakers die Nummer 4 der Liga.
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Die Defensive
Wie diese Zahlen zu lesen sind: Über die ganze Saison gesehen hat der SC Bern bei allen Situationen (inklusive Penalty Killing) pro Spiel 2,44 «zu erwartende Tore» (Expected Goals) zugelassen und ist damit zusammen mit den Lakers die Nummer 4 der Liga.
Quelle und Screenshot: 49ing
Es fällt auf, dass auch der HC Davos immer wieder auf allen Spitzenpositionen auftaucht. Auch aus diesem Blickwinkel heraus muss der Sieg am Samstag in Graubünden betrachtet werden. Der HCD glich erst durch zwei Tore in den letzten zweieinhalb Minuten aus. Und auch nur, weil er plötzlich in doppelter Überzahl agieren konnte, verschuldet auch durch eine Berner Undiszipliniertheit (Tristan Scherweys Reklamieren und «Applaus» Richtung Schiedsrichter bei bereits angezeigter Strafe gegen Teamkollege Romain Loeffel).
Davos – Bern 3:4 n. V. (1:1, 0:1, 2:1, 0:1)
6547 Zuschauer (Saisonrekord/ausverkauft).
Tore: 6. Wieser (Barandun, Ambühl) 1:0. 11. Sceviour (Loeffel, DiDomenico/Ausschluss Dominik Egli) 1:1. 29. Scherwey (Fahrni, DiDomenico) 1:2. 42. Goloubef (Bärtschi, Sceviour) 1:3. 58. (57:30) Stransky (Bristedt, Corvi/Ausschlüsse Loeffel, Scherwey) 2:3. 59. (58:21) Nygren (Corvi, Dominik Egli/Davos ohne Goalie) 3:3. 61. (60:29) DiDomenico (Kahun, Untersander/ins leere Tor!) 3:4.
Strafen: 4-mal 2 Minuten plus 10 Minuten (Corvi) Davos. 5-mal 2 Minuten plus Spieldauer-Disziplinarstrafe (Scherwey/nach dem Spiel für Reklamieren) Bern.
Bern: Manzato; Untersander, Gélinas; Goloubef, Colin Gerber; Loeffel, Zgraggen; Beat Gerber, Pinana; Vermin, Lindberg, Moser; DiDomenico, Kahun, Scherwey; Sceviour, Fahrni, Bärtschi; Bader, Baumgartner, Ritzmann.
Bemerkungen: Davos ohne Fora, Rasmussen, Frehner, Wellinger. Bern ohne Henauer, Lehmann (verletzt). – 9. Lattenschuss Stransky. 22. Pfostenschuss Wieser. – 35. (34:46) Tor von Sceviour nach Coach’s Challenge annulliert (Goalie-Interference von Lindberg). – 56:03 Time-out Davos. – Davos von 57:56 bis 58:21 ohne Goalie, mit 6. Feldspieler. Davos in der OT von 60:18 bis 60:29 ohne Goalie, mit 4. Feldspieler.
Bis zu jenem Zeitpunkt spielte der SCB sein defensiv vielleicht bestes und solidestes Drittel der Saison, liess Davos bei 5-gegen-5 so gut wie nichts zu – oder bloss 0,45 «Expected Goals», um in der Sprache der Analytics zu bleiben.
Plötzlich ist der Saisonstart weit, weit entfernt
Der Berner Steigerungslauf zeigt sich zwar einerseits durch die sieben Siege in den letzten acht Spielen. Doch diese Statistik ist eher trügerisch, da der SCB fast permanent in die Overtime muss, zuletzt auswärts fünfmal in Serie! Bei 3-gegen-3-Hockey in der Verlängerung steht dem Zufall Tor und Tür offen, lässt sich die Leistung in den maximal fünf Minuten nicht mit dem «normalen» Eishockey in der regulären Spielzeit vergleichen.
Die deutliche Steigerung bei 5-gegen-5 und in beiden Special Teams dürfte darum die ungleich wertvollere Erkenntnis für SCB-Coach Lundskog und seinen Staff sein. All die hitzigen Diskussionen rund um den Schweden und den ganzen SCB zu Saisonbeginn nach den nur drei (!) Spielen mit drei Niederlagen (zwei davon in der Overtime …), sie scheinen plötzlich weit weg.